Fraktionsgründung

Zu einem Pressegespräch lud am Donnerstag die neue Fraktion in der Flensburger Ratsversammlung, Bündnis solidarische Stadt, ein. Rund anderthalb Stunden standen Ratsfrau und Fraktionsvorsitzende Gabi Ritter, Ratsherr Andreas Zech und die beiden bürgerschaftlichen Mitglieder, Christiane Schmitz-Strempel und Jörg Pepmeyer den JournalistInnen Rede und Anwort. Die interessierte natürlich brennend, was das Bündnis solidarische Stadt in den nächsten Jahren vor hat.

Eine neue links-grüne Fraktion in der Ratsversammlung

Rückblick: Nachdem Ende April Gabi Ritter und Andreas Zech ihren Austritt aus der LINKE- und der Grünen-Fraktion aus unterschiedlichen Gründen erklärt hatten, bildeten beide im Mai die neue Fraktion Bündnis solidarische Stadt. (Mehr zum Austritt der beiden hier) Ihr Anliegen und ihre politischen Ziele formulierten sie in einem Leitbild das politisch links-grün verortet ist. Hauptanliegen ist die Entwicklung einer sozialen und ökologischen Stadt mit einer größtmöglichen demokratischen Beteiligung aller FlensburgerInnen. Das Bündis versteht sich ebenso als Zusammenschluss von Menschen, die in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen, Foren, Vereinen und Bürgerinitiativen aktiv sind. Zehn von ihnen sitzen seit kurzem als bürgerschaftliche Mitglieder der Bündnis-Fraktion auch in mehreren Ausschüssen. Und die zählt mitsamt ihren bürgerschaftlichen Mitgliedern, wie Gabi Ritter zu Beginn des Gesprächs stolz bemerkt, genderkorrekt sechs Frauen und sechs Männer.

Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung

Neben diesen eher allgemeinen Ausführungen machten anschließend Gabi Ritter und Andreas Zech deutlich, was sich in Flensburg ändern müsse. Vor allem beim Thema Hafen-Ost und dem Bahnhofswald sei deutlich geworden, dass es in Flensburg ganz erheblich an Transparenz mangele, so seien wichtige Daten und Informationen über die Projekte der Öffentlichkeit vorenthalten oder schlichtweg von den EntscheidungsträgerInnen ignoriert worden. Auch Christiane Schmitz-Strempel, Aktivistin der Bürgerintitaive Bahnhofsviertel und seit Mai Mitglied im Umwelt- und Planungsausschuss, kritisierte scharf, dass die Beteiligung und Information der BürgerInnen bei der Beratung und der Entscheidung in den Ausschüssen und in der Ratsversammlung absolut unzureichend gewesen sei. Notwendig sei deshalb ein Mehr an demokratischer Teilhabe und Transparenz, entsprechende Beteiligungsformate sollten deshalb vor allem bei wichtigen Planungsprojekten, aber auch in anderen Bereichen und bei wichtigen kommunalpolitischen und generationenübergreifenden Entscheidungen genutzt und eingesetzt werden. Gabi Ritter kann sich sogar die Schaffung eines EinwohnerInnenrats vorstellen.

Dazu will die Fraktion bei der Bürgerbeteiligung und ‑information zukünftig auf digitale Formate setzen. Dies habe sich bei der Corona-Pandemie sehr gut bewährt. Die Übertragung von Ausschuss- und Ratssitzungen im Netz sollte zur Regel werden. So hätten sich bei manchen digitalen Ausschuss-Sitzungen über hundert Gäste eingeloggt. Die BürgerInnen seien also sehr wohl interessiert an der Kommunalpolitik, den Debatten und Entscheidungsprozessen in den Ausschüssen und der Ratsversammlung. Es brauche allerdings unbedingt die entsprechenden Beteiligungsformate. Auch im Zeichen der Barrierefreiheit und der Transparenz sei dies unverzichtbar, so Gabi Ritter. Entsprechende Anträge für die Ausschüsse und Ratsversammlung will die Fraktion in den kommenden Monaten vorbereiten.

Kritik an der Debatten-Kultur und an den Umgangsformen

Besondere Kritk gab es am Ablauf der Ausschuss-Sitzungen und den Sitzungen der Ratsversammlung. Christiane Schmitz-Strempel bemängelte die derzeitige Debatten-Kultur. Es würde gar nicht wirklich um Inhalte gestritten. Es gehe nach ihrer Beobachtung nicht um einen fairen Austausch der Meinungen und Argumente, sondern um das Abnicken vorgefertigter Vorlagen ohne große Debatte. Das am besten auch noch ohne Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Die großen Fraktionen würden dabei ihre Machtposition rücksichtslos ausspielen. Jörg Pepmeyer, stellvertretendes Mitglied im SUPA und Vertreter der Bündnis-Fraktion im Sozialauschuss hat den Eindruck, dass es oftmals keine wirklich faktenbasierte Debatte gibt, und besonders bei Bauprojekten privatwirtschaftliche Interessen recht durchsichtig bedient würden, ohne dass relevante Daten und Informationen tatsächlich hinterlegt würden. Damit würden KommunalpolitikerInnen objektiv als Lobbyisten und Sachwalter privater Interessengruppen handeln, ohne tatsächlich die Karten auf den Tisch zu legen. So dürfe es nicht weitergehen. Andreas Zech monierte sinnentsprechend die Entscheidung zum Neubau-Projekt am Hafermarkt, wo Investor LIDL ohne große Hindernisse jetzt so ziemlich machen könne, was er wolle, mitsamt einem neuen überdimensionierten Supermarkt. Und dass es ein städtisches Einzelhandelskonzept gibt, das den von LIDL geplanten Markt in dieser Größenordnung nicht vorsieht, spiele offensichtlich keine Rolle mehr. Das zum Schaden der Einzelhandelsstruktur in der Innenstadt, aber auch in Adelbylund, so ergänzend Andreas Zech.

Neben der eher inhaltlichen Kritik an der Debattenkultur liegt den Mitgliedern der Bündnis-Fraktion aber auch die Art und Weise des menschlichen oder eher weniger menschlichen Umgangs in den Ausschüssen und in der Ratsversammlung im Magen. So sei das respektlose, überhebliche, teils gönnerhafte und wenig wertschätzende Verhalten mancher KommunalpolitikerInnen gegenüber den Kollegen und Kolleginnen in den Ausschüssen und der Ratsversammlung nicht hinnehmbar und stoße viele kommunalpolitisch interessierte Menschen und BesucherInnen der Sitzungen regelrecht ab. Auch hier will die Bündnis-Fraktion aktiv werden. So will sie die anderen Fraktionen zu einer gemeinsamen Gesprächsrunde einladen. Ziel ist ein verbindlicher Verhaltenskodex, der auch im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen mit Bürgerbeteiligung gelten soll.

Soziale und ökologische Umgestaltung der Stadtgesellschaft

Gleichzeitig ging es in dem Gespräch auch um die Forderung nach einer sozial gerechten und ökologischen Umgestaltung der Stadtgesellschaft. Vor allem die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und Sozialwohnungen sieht die Bündnis-Fraktion als ein wichtiges politisches Ziel. In den letzten Jahren seien viel zu wenig Sozialwohnungen geschaffen worden und zu viele Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Es könne nicht angehen, dass vorrangig der private Wohnungsbau in Flensburg auf der politischen Agenda stehe, so Jörg Pepmeyer. Ebenso müsse der Flächenfraß in der Stadt gestoppt werden. Es gäbe keinerlei zusammenfassenden Informationen darüber, wieviel Grün- und naturnahe Flächen in den letzten 25 Jahren in Flensburg durch Gewerbe, Wohn- oder sonstige Bebauung unwiderbringlich verloren gegangen sind, fügte Jörg Pepmeyer hinzu. Die Bündnis-Fraktion fordert deshalb die Erstellung eines umfänglichen Grünflächenberichts durch die Verwaltung, in dem zum Verbleib der städtischen Grünflächen, wie auch zum Ersatz dieser Flächen, verlässliche und vergleichbare Daten und Zahlen präsentiert werden.

Auch beim Thema Verkehr sieht die Bündnis-Fraktion erheblichen Handlungsbedarf. Der Invidualverkehr in der Stadt, so Andreas Zech, müsse zugunsten des ÖPNV verringert werden. Allerdings seien die aktuellen und saftigen Fahrpreiserhöhungen der AKTIV-Bus völlig konzeptlos und unsozial. Da helfe auch kein freier Freitag im Monat, um die Attraktivität zu erhöhen. Beispiele in anderen Städten zeigten, dass man auch ohne derartige Fahrpreiserhöhungen auskommen kann. Das Bündnis solidarische Stadt strebt zudem als langfristiges Ziel einen kostenfreien ÖPNV in Flensburg an.

Als kleine Fraktion Debatten anstoßen und Themen setzen

Die Fraktion, die voraussichtlich noch bis Mai 2023 in der Ratsversammlung vertreten sein wird, will sich zukünftig besonders um die Zusammenarbeit mit den lokalen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Initiativen bemühen. Vorrangig gehe es auch darum Erfahrungen zu sammeln. Klar sind sich alle Beteiligten, dass die Arbeit in den Ausschüssen und der Ratsversammlung manche Ernüchterung mit sich bringen wird. Allerdings könne die Fraktion in den Ausschüssen und der Ratsversammlung Themen setzen, die kommunalpolitische Debatte in Gang bringen und Öffentlichkeit bei strittigen Entscheidungen schaffen. Dennoch wolle man nichts unversucht lassen, mit anderen Fraktionen Gemeinsamkeiten auszuloten und entsprechende Beschlussinitiativen und Anträge in den Ausschüssen und der Ratsversammlung auf den Weg zu bringen. Dies auch in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, Vereinen und Initiativen. Inhaltlich und programmatisch orientiere sich die Fraktion an dem bereits zitierten Leitbild für eine soziale, ökologische und demokratische Stadt. Wichtige organisatorische und inhaltliche Debatten mit der Verabschiedung eines umfangreichen Arbeitsprogrammes habe es zudem auf zwei vor kurzem abgehaltenen Klausurtagungen gegeben, so Gabi Ritter und Andreas Zech. In Kürze werde es auch eine eigene Homepage und E‑Mail-Adresse des Bündnisses geben und die Fraktion auch in den sozialen Medien vertreten sein.

Die Zukunft ist offen

Auf die abschließende Frage, ob das Bündnis solidarische Stadt auch bei der Kommunalwahl 2023 antreten werde, antworteten die Bündnis-VertreterInnen, das sei durchaus denkbar. Es hänge aber davon ab, wie sich das Bündnis entwickle und ob sich das politische Konzept als tragfähig für eine weitere Legislaturperiode erweise. Und natürlich auch davon, in welchem Umfang es Menschen gibt, die sich dafür engagieren möchten, so Gabi Ritter und Andreas Zech. Auf jeden Fall lädt die Fraktion alle kommunalpolitisch interessierten Menschen, AktivistInnen und AkteurInnen der Zivilgesellschaft herzlich ein, bei ihr mitzumachen.

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